Aufreger
Aufreger: Die Diplomierte
Als wir das Tierheim Verlorenwasser übernahmen, hatten wir bei weitem noch nicht die Kapazitäten, über die wir heute verfügen.
Es fehlte an Unterbringungsmöglichkeiten, erfahrenen Mitarbeitern usw.
Deshalb konnten wir auch nicht helfen, als eine Frau anrief, die eine größere Gruppe Kaninchen abgeben wollte.
Doch sie bettelte und bettelte, dass wir dann doch wenigstens für ein paar Tage helfen möchten zu überbrücken. Sie plante ihren Umzug nach Bayern und hätte so viel zu tun mit dem Packen. In der Zeit könne sie sich nicht richtig um die Tiere kümmern.
Als sie die Kaninchen brachte, merkten unsere Tierpfleger, dass mindestens drei der Tiere sehr krank waren. Ja, ja, das sei chronisch.
Von Mitgliedern des Vereins, dem das Tierheim vorher gehörte, erfuhren wir, dass die Frau als Expertin in der Region galt. Sie hätten schon öfter mit ihr zusammengearbeitet. Auch wir hatten den Eindruck, dass sie durchaus ein Händchen für die Kaninchen hatte.
Wir hörten von unseren Vorgängern, sie würde seit Jahren Tiere aufnehmen und päppeln. Eine Visitenkarte von ihr würde im Tierheim liegen.
Wir fanden das Kärtchen. Darauf nannte sie sich Diplom-Tiertherapeutin.
Einen akademischen Titel darf in Deutschland aber nur jemand führen, der über einen entsprechenden Uni-Abschluss verfügt. Unseres Wissens nach gibt es keinen Studiengang Tiertherapie - also auch kein Diplom dafür. Wir sprachen die Frau daraufhin an. Ihr war völlig bewusst, dass sie so einen Titel nicht führen durfte und meinte, das täte sie auch nicht. Doch wir hatten das Visitenkärtchen. Das hätte sie nicht drucken lassen. Wie so etwas ins Tierheim käme, wisse sie nicht.
Beim Googeln fanden wir eine ganze Reihe von Firmeneinträgen: ihr Name, ihre Adresse, ihre Telefonnummer und alles als Diplom- ...
Wie solche Einträge ins Internet kämen, könne sie sich auch nicht erklären. Sie hätte das nicht gemacht.
Die Kaninchen, die sie bei uns parkte, hatte sie kurz zuvor aus schlechter Haltung übernommen - mit viel öffentlichem Tamtam inklusive sprudelnder Spendengelder. Wir sahen davon nichts, denn sie war ja Tierschützerin und brauchte das Geld selbst.
In einem Tierheim ist das "natürlich ganz anders". Seit Jahren begegnet uns das Phänomen, dass manche Menschen der Meinung sind, dass man außerhalb von Tierheimen Geld für die Versorgung von Tieren braucht, innerhalb von Tierheimen offensichtlich aber nicht und wir gefälligst alles umsonst zu leisten hätten.
Der Tag ihres Umzugs nach Bayern rückte näher. Sie meldete sich nicht mehr und ging auch nicht mehr ans Telefon. Wir schickten einen Kurier mit der schriftlichen Aufforderung, die Tiere abzuholen. Sie reagierte nicht. Es kam, wie wir inzwischen befürchtet hatten: sie hatte uns mit einer Täuschung eingewickelt und von Anfang an nicht vor, die Tiere zurückzunehmen.
Somit saßen wir doppelt in der Falle. Zum einen konnten wir dauerhaft die Versorgung nicht gewährleisten. Zum anderen hatten wir nur einen Pensionsvertrag und keine Eigentumsübertragung. Wir hätten die Tiere also auch nicht weitervermitteln dürfen, da es nicht unsere waren.
Wir schickten deshalb eine Mitarbeiterin mit den Tieren abends zu der Tierhalterin nach Hause. Unsere Mitarbeiterin übergab ihr die Kaninchen.
Am nächsten Morgen erhielten wir einen Anruf von der Polizei. Eine Frau sei da, die Anzeige gegen uns erstatten wolle. Es ginge um einen Verstoß gegen das Tierschutzgesetz wegen der Vernachlässigung und des Aussetzens von Tieren.
Wieso Aussetzen von Tieren? Unsere Mitarbeiterin hatte sie der Dame doch in die Hand übergeben. Und krank waren sie vorher schon. Doch die Dame hatte es dem Beamten anders geschildert. Danach muss man sich das so vorstellen:
Die Diplomierte geht abends ans Fenster, um frische Luft zu schnappen. Und wie sie so ganz zufällig aus dem Fenster schaut, da sieht sie doch, wie unten vor dem Neubaublock ein paar Hasen umherhoppeln. Und gucke mal da: die kommen ihr doch bekannt vor. Na, das sind ja ihre Kaninchen! Wie kommen die denn da hin? Das kann doch wohl nicht wahr sein. Die muss doch dieses schlimme Tierheim hier ausgesetzt haben. Die armen Tiere. Wenn sie nicht zufällig aus dem Fenster geschaut hätte! Dann wären sie vielleicht noch weggehoppelt. Das geht ja wohl gar nicht. Dieses Tierheim muss man dichtmachen.
Sprach's und ging schnurstracks zur Polizei und erstattete Anzeige.
Wir behaupten: eine Mitarbeiterin hat ihr die Tiere übergeben. Sie sagt: das ist nicht wahr; wir hätten sie vor dem Haus ausgesetzt und damit eine strafbare Handlung begangen und die Presse wird das schon aufgreifen!
Es steht Aussage gegen Aussage und sieht nicht gut für uns aus, denn natürlich war der letzte dokumentierte Aufenthaltsort der Tiere unbestritten unser Tierheim.
Tief Luft holen! Schön tief durchatmen!
Wir waren schockiert. Soviel Dreistigkeit konnte sich bei uns niemand mit der eigenen Fantasie vorstellen.
Also Aussage gegen Aussage.
Auch wenn wir im Traum nicht so viel Verlogenheit erwartet hatten, so waren wir doch schon vor der Rückgabe davon überzeugt, dass die Dame uns die Tiere nicht quittieren würde, sondern einfach die Tür wieder zumachen würde. Deshalb hatten wir einen zweiten Mitarbeiter mitgeschickt. Er war mit ins Haus gegangen, aber am Treppenabsatz stehengeblieben.
Die Tierhalterin war so überrascht, als unsere Mitarbeiterin an ihrer Wohnungstür klingelte und ihr die Boxen mit den Tieren in die Hände drückte bzw. in ihren Wohnungsflur stellte, dass sie unseren anderen Mitarbeiter nicht bemerkte.
2 : 1!
Zum Abschied schickte die Dame über Facebook eine Nachricht mit allem, was ihr an Beleidigungen grad so einfiel und schloss damit, wie froh sie sei, endlich aus dem "Scheiß-Osten" weg zu sein und wieder in den Westen zu können.
Ja mei, mid da hobts vui gaudi. So a elends Oasch-wimmoi, Hundsgrucka varreckde, Bißgurrn sakrische.
Do hom sogar mia Breißn Mitleid mid Eich.
Da Deife huifd seine Leit - aba hoin duada's a! Des sog da i!